Der 9. Mai ist in Russland und vielen Staaten der ehemaligen Sowjetunion ein zentraler Gedenktag, bekannt als „Tag des Sieges“. An diesem Datum feiern Millionen Menschen traditionell das Ende des Zweiten Weltkriegs, das offiziell in der Nacht zum 9. Mai 1945 begann. Doch im Jahr 2025 ist das Gedenken stärker politisiert und international umstritten denn je.
Der 9. Mai unterscheidet sich vom westlichen Europa, das das Kriegsende meist am 8. Mai, dem sogenannten VE-Day (Victory in Europe Day), begeht. In Russland und weiten Teilen Osteuropas jedoch fiel die Kapitulation am 9. Mai nach Moskauer Zeit. Daraus entwickelte sich der Tag des Sieges – ein Tag, der für Millionen sowjetischer Opfer, für Befreiung von Nationalsozialismus und für gemeinsamen Kampf gegen das NS-Regime steht.
Neben der Befreiung betont das Datum auch die zentrale Rolle der Roten Armee, besonders bei der Befreiung von Auschwitz und Berlin. Historiker verweisen jedoch auf die immens hohen menschlichen Verluste: Insgesamt 27 Millionen Tote sind zu beklagen.
Die Feierlichkeiten zum 9. Mai sind in Russland ausgesprochen umfangreich. Paraden, Konzertveranstaltungen und der „Marsch des Unsterblichen Regiments“ sorgen für eine kollektive Erinnerungskultur. In den vergangenen Jahren wurde das Gedenken jedoch zunehmend politisiert: Der Staat nutzt die historischen Erzählungen, um aktuelle Politik zu legitimieren.
Während ursprüngliche Werte wie „Nie wieder Krieg“ früher im Vordergrund standen, ist das Event heute oft vom Pathos des Sieges und von einem Kult der Stärke geprägt. Die Beschreibung der taz spricht vom „überdrehten Siegeswahn“, während persönliche Erinnerungen und individuelle Geschichten immer weiter in den Hintergrund treten. Kinder werden in Schulen auf den Tag vorbereitet, sie singen Kriegslieder und nehmen an Militärparaden teil.
Gerade im Jahr 2025 werfen die Feierlichkeiten zum 9. Mai viele Fragen auf. Die internationale Gemeinschaft blickt kritisch auf die russische Geschichtspolitik – und besonders auf den Missbrauch der Erinnerung zur Rechtfertigung des Krieges gegen die Ukraine. Eine Analyse von tagesschau.de zeigt, wie das Gedenken von aktuellen Konflikten überschattet wird: Während der Bundestag russische und belarusische Vertreter bewusst auslädt, bleiben die Diskussionen um Verantwortung und historische Wahrheit präsent.
Die offizielle Waffenruhe zum Jahrestag wurde mehrfach gebrochen. Zahlreiche Staats- und Regierungschefs nehmen dennoch an der Siegesparade in Moskau teil. Laut t-online reiste 2025 unter anderem Chinas Staatspräsident Xi Jinping zum viertägigen Besuch an, während Europa überwiegend abwesend bleibt. Diese Entwicklung verdeutlicht, wie stark sich die Erinnerungskultur verschoben hat und wie politische Instrumentalisierung an Bedeutung gewinnt.
Doch nicht nur in Russland wird am 9. Mai erinnert. Auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern findet weiterhin ein kritisches Gedenken statt, das die Opfer aller beteiligten Nationen würdigt. Gleichzeitig wächst der Wunsch nach einer differenzierten, generationengerechten Erinnerung – gerade gegenüber neuen Bedrohungen von Frieden und Freiheit.
Die Diskussion darüber, wie man mit der Vergangenheit und mit aktuellen Konflikten zugleich umgehen kann, bleibt aktuell. Während die Geschichtsbewältigung in Russland zunehmend von staatlicher Propaganda geprägt ist, bemühen sich gesellschaftliche Gruppen und Historiker um eine offene und pluralistische Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Gegenwart.
Der 9. Mai bleibt ein Tag voller Emotionen, Erinnerungen und politischer Signale. An keinem anderen Datum wird so deutlich, wie eng Geschichte, Identität und politische Instrumentalisierung miteinander verzahnt sind. Für viele Menschen in Russland und darüber hinaus bleibt dieser Tag ein Moment des Gedenkens – doch wie dieses Gedenken gestaltet wird, ist stärker als je zuvor Teil gesellschaftlicher und politischer Auseinandersetzungen.
Egal, ob gemeinsames Erinnern oder kritische Reflexion: Der 9. Mai fordert zum Hinsehen, Diskutieren und Nachfragen heraus. Nur so lässt sich Geschichte lebendig und relevant halten.